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Von einzigartigen Landschaften und innerer Schönheit

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Wir alle brauchen eine tägliche Dosis Schönheit und Herzlichkeit, denn dadurch wird die Welt zu einem besseren Ort. Im Rahmen einer Wanderung mit Alpinist Simon Gietl, die uns im Anblick von Almen und den Dreitausendern des Ahrntals zum Biotop Wieser Werfer führte, gab es von beiden mehr als genug. Ein Bericht über einen dieser Tage, die einfach guttun.

„Hoi, i bin dr Simon.“ So lauten die ersten Worte, mit denen sich Gietl im Südtiroler Dialekt vorstellt und die von überraschender Nahbarkeit zeugen, schließlich hat er als Bergführerlegende bereits zahlreiche Zeitungsberichte gefüllt. Er reicht allen Teilnehmenden der Erlebniswanderung die Hand und eines wird sofort klar: Er fühlt sich nicht wie ein besonderer Wanderer, sondern wie einer von uns. Mit seinem herzlichen Lachen steckt er die ganze Wandergruppe in wenigen Sekunden an. Bereits der klare Septemberhimmel und die Sonne sahen vielsprechend aus, nun aber garantiert die gute Laune einen unvergesslichen Tag in den Bergen.

Wandern und plaudern

Los geht die Rundwanderung in Kasern im weitverzweigten Prettau, das nicht nur die nördlichste Gemeinde Italiens ist, sondern noch einen weiteren Rekord hält: Die letzten Häuser des Ahrntals liegen an der Grenze zu Österreich am Fuße des Klockerkarkopfs, dem nördlichsten Punkt des Landes. Der Weg führt uns sofort in den Wald hinein. Die Sonnenstrahlen tauchen die Fichten und Lärchen in goldenes Licht und lassen uns die Jacken abstreifen. Dank der mäßigen Steigung kommen wir gemütlich miteinander ins Gespräch und können die eine oder andere Frage stellen, die uns bei einer Wanderung mit Simon Gietl sofort auf der Zunge brennt. Bescheiden beginnt er von seinen beeindruckendsten Alpengipfelabenteuern zu erzählen und lässt so manche lustige Anekdote einfließen. Er klingt nicht wie einer, der sich zur Schau stellen möchte, eher wie ein alter Schulfreund, der scherzend von seinen Erlebnissen der letzten Jahre berichtet. „Einmal habe ich mit einem guten Freund innerhalb von 48 Stunden die Nordwand des Ortlers, die kleinste der Drei Zinnen und die Nordwand des Großglockners in Österreich bestiegen, wobei wir uns nur mit dem Fahrrad von einem zum anderen Berg begeben haben. Dabei habe ich viel über meine körperlichen Grenzen gelernt. Es ist unglaublich, wie stark sich Schlafmangel auf Energie und Psyche auswirkt.

Beim Wandern erzählt Simon Gietl von sich selbst, aber hört auch gerne den anderen zu.

Die zweite schlaflose Nacht war besonders hart: Beim Fahrradfahren habe ich irgendwann sogar die Brille abgenommen, in der Hoffnung, dass mich der Wind wachhält“, erinnert sich Gietl und fügt lachend hinzu: „Ich muss allerdings erwähnen, dass ich am Tag vor der Tour bis spät in die Nacht meine Hochzeit gefeiert habe. Zum Glück war mein Freund auch unter den Gästen, so dass wir beide darunter gelitten haben.“ Grinsend berichtet Simon, dass er erstmal genug von Touren auf zwei Rädern hatte, doch in Folge dieser Leistung ist nach einer wohlverdienten mehrjährigen Pause das ehrgeizige Projekt „North 6“ geboren. Die Mission: innerhalb drei Wochen die sechs höchsten Nordwände der Alpen bezwingen, wobei nur „traditionelle Transportmittel“ verwendet werden dürfen, sprich die eigenen Füße, das Fahrrad, der Gleitschirm und die Skier. „Man muss sich selbst ein strenger Schiedsrichter sein und seine Grenzen festlegen. Ein Projekt entwickelt erst dann seinen Reiz, wenn du dir denkst: Das ist unmöglich.“

Zum Biotop Wieser Werfer

Als die Bäume lichter werden, öffnet sich der Blick auf die Starklalm: Auf einigen Weiden grasen Kühe begleitet vom klassischen Klingen ihrer Glocken; andere hingegen zeigen sich in klassisch gemähter Form in hellem und dunklem Grün. Hier riecht es vor allem nach Alpenrosen, die üppig zwischen Heidelbeersträuchern gedeihen. Die Finger färben sich blau, als wir die Heidelbeeren pflücken, deren Süße sich mit einer abschließenden Säurenote am Gaumen ausbreitet. Der Blick auf die Landschaft und die Gespräche mit Simon begleiten uns auf dem Weg zum Biotop Wieser Werfer, das vom natürlichen Lauf des Rauchkofelbachs geprägt ist. Der Bach entspringt – wie der Name verrät – hoch oben am Rauchkofel. Mit seinem unglaublich klaren Wasser schlängelt er sich friedlich dahin und gleicht einem idyllischen Gemälde. Da zeigt sich mal wieder, dass die Natur eine talentiertere Künstlerin ist.

Wenn man nach dem Biotop dem Wanderweg 15A folgt, gelangt man zum Waldnersee.

Nachdem wir außerhalb des Schutzgebiets spontan die Füße ins kristallklare Wasser getaucht und somit unseren eigenen Kneippparcours entwickelt haben, setzen wir unsere Wanderung fort. Die einfache Schotterstraße erlaubt es, von Zeit zu Zeit den Blick zu heben und zur Dreiherrnspitze direkt vor uns hochzuschauen. Der Schnee dort oben beweist, dass es sich bei der Riesenfernergruppe um den Naturpark mit den meisten Gletschern in Südtirol handelt. Blubb blubb … Plötzlich vernehmen wir ein leises Gurgeln und während wir nach dessen Ursprung suchen, eröffnet sich uns ein malerischer Anblick, vergleichbar mit einem typischen Desktophintergrundbild: eine Almhütte mit Schindeldach, umgeben von sattgrünem Gras und mächtigen Dreitausendern. Vor der Holzhütte liegt ein kleiner Teich, von dessen Tiefen unaufhörlich Luftblasen nach oben steigen – des Rätsels Lösung und wunderschön anzusehen.

Bei der Tauernalm ist es Zeit für eine regenerierende Pause. Von Brennessel- über Pressknödel (auch „Pressa“ genannt) bis zum Graukäse aus Eigenproduktion und dem obligatorischen Apfelstrudel: Hier hat man die Qual der Wahl. Was man unbedingt probieren sollte, ist der hausgemachte nach Cola schmeckende Sirup aus der Heilpflanze Eberraute.

Zwischen Natur und Natürlichkeit

Wir nähern uns dem Tal über einen breiten gepflasterten Serpentinenweg, der einst dem Transport von Schmuggelware zur Krimmler Tauern diente. Die Atmosphäre ist heiter; Simon erzählt Geschichten, macht Witze und interessiert sich für das Leben der Teilnehmenden, was von seiner großen Bescheidenheit zeugt. „Wenn ich meine Begleitung für Alpenexpeditionen auswähle, dann achte ich dabei nicht nur auf Expertise, sondern höre auch auf mein Gefühl. Ich würde nie mit Menschen in die Berge gehen, mit denen ich nicht auch ein Bier trinken würde. Das Leben ist viel zu kurz, um es mit Dingen zu verbringen, die uns nicht gefallen. Zuhause versuche ich die Zeit intensiv mit meiner Familie zu nutzen. Ich erzähle nicht gerne von meinen Abenteuern, lieber bin ich ganz und gar Ehemann und Papa.“

Außerhalb des Schutzgebiets kann man die Füße ins kühle Wasser tauchen: welch eine Wohltat für den Kreislauf!

Bevor wir zum Parkplatz in Kasern zurückkehren, machen wir noch einen Abstecher zur malerischen Heilig-Geist-Kirche, einem bekannten Wallfahrtsort. Hier wird das Herz mit Dankbarkeit erfüllt, was vielleicht daran liegt, dass dieser Ort dank der reichhaltigen Vorkommnisse an Wasser und Bergkristall als energetisch besonders wertvoll gilt, vielleicht aber auch an den friedlich grasenden Pinzgauer-Kühen oder den imposanten Gipfeln, die sich in den wolkenlosen Himmel erheben. Vielleicht sind aber auch die ausgelassene Stimmung und die Menschen der Grund dafür.

Auch Simon Gietl strahlt mit seiner Lebensart tiefe Zufriedenheit aus – die Zufriedenheit derjenigen, die jeden Tag ihrer Leidenschaft nachgehen können. „Dieses Glück wünsche ich allen, egal ob es sich dabei um Bergsteigen, Holzschnitzerei, Landwirtschaft oder etwas anderes handelt“, sagt er mit klarem Blick. Anschließend erzählt er noch eine kleine Anekdote: „Einmal fragte mein Sohn, warum ich in die Berge gehe. Ich wusste nicht, wie ich es ihm erklären sollte, also nahm ich ihn mit. Auf dem Gipfel aßen wir in Ruhe ein belegtes Brot und atmeten die frische Luft tief ein. Wir haben sonst nichts ‚Besonderes‘ gemacht. Zuhause sagte er dann zu mir: ‚Papa, wann gehen wir wieder auf den Berg?‘ Und da hab’ ich gesagt: ‚Jetzt hast du die Antwort, nach der du gesucht hast.‘“ Das sind wahre Worte, besonders für jemanden der die Berge liebt. Worte, die uns ihrerseits verstummen lassen, uns die Schönheit der Umgebung vor Augen führen und uns das Gemeinschaftsgefühl spüren lassen, das man hoch oben in den Bergen erlebt. Schönheit und Herzlichkeit machen aus der Welt in der Tat einen besseren Ort.

Simon Gietl

Gietls alpiner Lebenslauf ist gespickt mit herausfordernden Besteigungen, Erstbegehungen und internationalen Expeditionen.

1984 geboren, strahlt Simon Gietl mit seinen beinahe 40 Jahren noch eine gewisse Jugendlichkeit aus, was nicht zuletzt an den zerzausten Haaren liegt, die links zu einem kleinen Zopf zusammengebunden sind. Obwohl er in Oberwielenbach im Pustertal aufwuchs, entwickelte sich seine Leidenschaft für den Bergsport erst mit 18 Jahren, als er beim Trampen zufällig einem Kletterer begegnete. Heute ist Simon Gietl Bergführer und einer der wichtigsten Vertreter des italienischen Alpinismus. Er liebt es, schwierige Touren respektvoll zu meistern sowie Berge im Alleingang zu besteigen. Zu seinen letzten größeren Projekten zählt die Überquerung von vier Dolomitengruppen, von denen er im Kurzfilm „Winter Solo“ berichtet, sowie die Eröffnung der Route „Identität“ an der Westwand des Mittleren Zwölfer in den Sextner Dolomiten.

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