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Ein Königreich für die Bienen

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Ohne Strom, Gas und fließend Wasser lebten Filomena und Amalia Oberschartner bis 1975 auf dem Plattnerhof. Heute ist der Hof am Ritten nicht nur Zeuge einer längst vergangenen Zeit, sondern auch ein Imkereimuseum und das Zuhause von unzähligen Bienen.

Summend schwirren Bienen an mir vorbei, während ich zum Imkereimuseum hochspaziere. Der historische Plattnerhof liegt auf einem Wiesenhang in Wolfsgruben am Ritten und bildet mit seinem Strohdach einen perfekten Kontrast zum strahlend blauen Sommerhimmel.

Im 600 Jahre alten Bauernhaus ist es kühl und dunkel. Ich lege meine Hand auf die pechschwarze Wand im Flur. Sie ist voller Ruß. Jahrhundertelang sammelte sich hier der Rauch. Auch in der Küche sind die Steinmauern schwarz. Die beiden Schwestern Filomena und Amalia kochten mit offenem Feuer und hängten Speck, Kaminwurzen und Schweinefüße zum Räuchern an die Decke. Ich kann das Fett noch riechen. Hier steht auch die einstige Waschmaschine des Hofes: ein großer, in eine Mauervorrichtung eingelassener Kupferkessel. Für die damalige Zeit hochmodern ist immerhin das direkt an die Küche angrenzende stille Örtchen. Auf den meisten anderen Höfen musste man dafür hinaus in die Kälte.

Die Wintertage verbrachten Mena und Mala, wie sie im Dorf genannt wurden, wohl am liebsten in der holzgetäfelten Stube, dem einzigen beheizten Raum des Hofes. „Hier saßen sie am Spinnrad oder strickten, während sich ihre sechs Katzen gegenüber auf der Ofenbrücke räkelten“, erzählt Marc Gramm, der mich durch die Räumlichkeiten führt. Familie Gramm hat den Hof im Jahr 1987 erworben und nach der Renovierung 1991 in ein Museum verwandelt. Bis heute hütet er in den alten Gemäuern die Geheimnisse der Imkerei.

Das Bauernhaus wurde einst auf einer Steinplatte errichtet – daher der Name Plattnerhof.

Von der Stube aus gelange ich durch eine Verbindungstür ins Schlafzimmer. Nur knapp muss ich mit meinen 1,60 m dabei den Kopf nicht einziehen. Als Matratze diente ein in Leinen gewickelter Strohsack. Ein Gebetsbuch liegt offen auf einem Stuhl, daneben hängt das Sonntagskleid sauber und ordentlich an einem Haken an der Wand. Es scheint, als würde Mena immer noch hier wohnen und hätte nur mal eben das Zimmer verlassen, vielleicht um am Dorfbrunnen frisches Wasser zu holen.

Eine Zeitreise in das einfache bäuerliche Leben erwartet die Besucher auf dem Plattnerhof.

Vom einfachen Hofleben zeugen noch weitere Habseligkeiten der Schwestern, die im zweiten Schlafzimmer zu finden sind: Schwarzweißfotos von der Feldarbeit, verblichene Schulhefte, sorgfältig aneinandergereihte Buchstaben, eine Schiefertafel.
Plötzlich nehme ich im Hintergrund ein Summen wahr. Ich nähere mich einer schmalen Holzbox auf dem Fensterbrett und öffne sie vorsichtig an der rechten Seite.

Hinter einer Glaswand sind sie, die neuen Bewohner des Hofes: Hunderte Bienen krabbeln kreuz und quer über die Wabe. Sachte lege ich meine Hand auf die untere Hälfte des Glases. Es ist ganz warm. Hier befindet sich die Brut, weshalb die Tiere mit ihrer Körpertemperatur konstante 36° C halten müssen; daher tummeln sich im unteren Bereich auch besonders viele Bienen. Weiter oben hingegen, wo der Honig in der Wabe gelagert wird, ist das Glas kalt. Ich entdecke in dem Gewühle eine größere Biene mit einem blauen Punkt: die Bienenkönigin. Alle drei Jahre züchten die Imker eine neue Königin und versehen sie mit einem international genormten Farbklecks. Sie ist die einzige Biene, die mit Gelée royale gefüttert wird, einem hellgelben, puddingartigen Superfood. Die Königin verlässt den Stock nur einmal in ihrem Leben für ihren Hochzeitsflug. Zehn Tage lang wird sie dabei von mehreren Drohnen begattet, die ihre Eier befruchten. Aus diesen schlüpfen später die Jungbienen. Ich schließe die Holztür des Schaukastens wieder, denn im Bienenstock soll es stockdunkel sein – zurecht finden sich die Tiere dank ihres hervorragenden Tastsinns trotzdem.

Die Bienen haben schon so manchen Dichter inspiriert. Der Beleg dafür ist auf dem Lehrpfad nicht unweit vom Plattnerhof zu finden.

Ich verlasse den alten Wohntrakt und trete zurück in den Eingangsbereich. Hier, wo Mena und Mala einst Stroh und Korn lagerten, erzählt Marc seinen Besuchern gerade Wissenswertes über den Hof und die Bienen, während über seinem Kopf ein 7,5 t schweres Strohdach thront. Dicht an dicht drängen sich die Roggenhalme und schützen so den Hof vor dem Regen. Auch der Schnee findet auf dem schrägen Dach keinen Halt. „Alle 30 Jahre muss das Dach erneuert werden. Das Material dafür wächst direkt vor dem Hof – kostenlos. Über dem Wohnbereich hingegen wurden teure Lärchenschindeln angebracht, um das Gebäude noch besser zu schützen“, erklärt Marc. Zudem besaß der Hof einst einen Löschteich gleich neben dem Haus, für den Fall eines Brandes. Den Teich gibt es noch, heute schwimmen Seerosen darauf.

Auf den Spuren der Imkerei

Hellgelb, bernsteinfarben, fast schwarz schimmern die Gläser auf den Regalen gleich neben der Eingangstür. Vom süßen Alpenrosenhonig über den nach Lakritze schmeckenden Buchweizenhonig können hier über 30 Sorten verkostet werden. Mit einem Teelöffel kratze ich ein Stück Wabe aus einer Schüssel. Wie Kaugummi verteilt sich das süße, weiche Wachs in meinem Mund.

Wald- und Blütenhonig, Pollen, Wachs, Propolis – der Mensch vertraut seit Jahrhunderten auf die Erzeugnisse der Bienen.

Hinter der Theke führt eine Treppe in den Keller, die erst bei der Renovierung durch die Bozner Kaufmannsfamilie Gramm errichtet wurde. Einst war dort ein Loch gewesen, durch das die Bauern Futter für Kühe und Schweine in den Stall hinunterwarfen. In der alten Tränke sind Bienenkörbe aus Stroh in verschiedenen Größen ausgestellt. Die Waben wurden früher herausgerissen, in der Wachspresse übereinandergeschichtet und mit einem schweren Gewicht belegt. Was dabei herauskam, war nicht reiner Honig, wie wir ihn heute kennen. In dieser Masse tummelte sich alles, was der Bienenstock hergab: Honig, Pollen, Propolis, Larven. Erst 1860 wurde die Honigschleuder entwickelt: Die Waben werden in einen Zylinder gelegt, der heute maschinell betrieben wird. Durch die Fliehkraft wird der Honig nach außen gepresst, sammelt sich am Boden und kann abgefüllt werden. Früher teilten sich mehrere Imker eine Honigschleuder, und manchmal diente sogar eine Fahrradkette zum Antrieb.

60 Millionen Blüten fliegen die Bienen für ein Glas mit 500 g Honig an.

Ich lasse meine Augen weiter durch den ehemaligen Stall wandern. Kunstvoll bemalte Stöcke aus Holz sind zu einer Wand zusammengestellt. Die individuelle Farbe, so dachte man früher, sollte den Bienen die Rückkehr erleichtern. Doch Bienen orientieren sich an der Sonne und den Pheromonen ihrer Königin. Sie nehmen nur Primärfarben wahr. Wie genau sie die Welt sehen, lässt sich bei einem Blick durch ein kleines Glasfenster am Lehrpfad entdecken, der in neun Stationen mit Schautafeln und Spielen um den Hügel neben dem Hof herumführt.

Nach dem Museumsbesuch schwirrt mir vor lauter Informationen der Kopf, als flöge eine Biene emsig darin hin und her. Wer hätte gedacht, dass für mein Honigbrot am Morgen eine einzige Biene drei Wochen lang arbeiten muss?

Die Sommerresidenz der Bozner

Mit seinen weiten Wiesen, den meterhohen Erdpyramiden und der Aussicht auf die Dolomiten ist das Rittner Hochplateau in der warmen Jahreszeit ein ideales Ausflugsziel. Erreichbar ist es von Bozen aus mit einer Seilbahnfahrt, die einen schwindelerregenden Blick auf die Stadt freigibt. Oben angekommen, geht es mit der einzigen Schmalspurbahn Südtirols bis nach Wolfsgruben und zu Fuß in fünf Minuten zum Plattnerhof.

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